„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Ernst Peter Fischer: Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum

Erst ganz am Schluss des Buchs wird der Begriff Eponym erwähnt, den die Wikipedia ganz schnell auf Deonyme weiterleitet. Ernst Peter Fischer hat in seinem Buch eine Reihe von Geschichten aus der Wissenschaft gesammelt, die mit den Namen der Wissenschaftler verbunden sind, die sich zum ersten Mal mit den entsprechenden Phänomenen beschäftigt haben. Typische Vertreter nennt mit Schrödingers Katze und Mandelbrots Baum ja bereits der Buchtitel. Andere sind zum Beispiel Heisenbergs Unbestimmtheit, Röntgens Strahlung, Turings Maschine, Mendels Gesetze und viele andere mehr.

Ich habe von Ernst Peter Fischer vor einigen Jahren bereits ein anderes Buch gelesen, Die andere Bildung, das er seinerzeit als Reaktion auf Dietrich Schwanitz‘ Werk „Bildung. Alles was man wissen muss“ geschrieben hat. Implizit hat ihn auch dieses Mal dasselbe Motiv getrieben, wie man mitten im Buch so lesen kann:

Wenn in Deutschland um Bildung gestritten wird, fällt ein Ungleichgewicht bzw. eine Asymmetrie auf Sie erstreckt sich vor allem auf das, was in Quizsendungen unter der Rubrik »Was man weiß, was man wissen sollte« zu finden ist. Jeder weiß etwas von Picassos rosa Periode oder vom »Blauen Reiter« und seinen Malern. Aber niemand weiß, dass es sich lohnt, ebenso über die Doppelhelix oder die Theorie der Atome und die Menschen informiert zu sein, denen wir diese Einsichten verdanken. Wer Arthur Schopenhauer oder Martin Heidegger nicht kennt oder nicht von ihnen gehört hat, gilt als ungebildet. Wer hingegen Ludwig Boltzmann oder Wolfgang Pauli nicht einordnen kann, macht sich über diese Lücke keine Sorgen – und niemand hierzulande wird ihm dies übel nehmen.

Auf diese unterschiedliche Gewichtung von Wissen hat der britische Physiker, Dichter und Staatsmann Charles P. Snow (1905-1980) im Jahre 1959 hingewiesen, als er in einem Vortrag seine zwar vielfach verworfene, sich aber hartnäckig behauptende Trennung der zwei Kulturen einführte.

Snows Kulturen erfassen den Unterschied zwischen dem, was die Universitäten als Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften trennen, um ihnen spezielle Aufgaben zuzuweisen. Die Naturwissenschaften sollen das Wissen schaffen, mit dem wir uns die Natur verfügbar machen (Herrschaftswissen), und die Geisteswissenschaften sollen das Wissen beisteuern, mit dem wir das andere einsetzen (Orientierungswissen). Die Besonderheit der ersten Kultur scheint in der Fähigkeit zum intuitiven Verstehen und ihrer Hinwendung zum Einzelerlebnis zu stecken. Und die Qualität der zweiten findet sich im systematischen Einsatz des quantitativen Experiments und der Formulierung allgemeingültiger Gesetze.

Fischer schreibt dazu:

Tatsächlich versuchen die Naturwissenschaften alles, um individuelle Besonderheiten auszuschließen. Im theoretischen Bereich nehmen sie statistische Methoden zu Hilfe und bilden Mittelwerte, und im experimentellen Bereich bestehen sie auf der möglichst genauen Reproduzierbarkeit von Ergebnissen, das heißt, sie übersehen und übergehen gerade das, was Einzelereignisse unverwechselbar macht. Genau dafür interessieren sich aber die Menschen – für die Besonderheiten anderer Menschen. Wenn die Naturwissenschaft darauf verzichtet, kann es passieren, dass die Öffentlichkeit darauf verzichtet, sie zur Kenntnis zu nehmen.

Bereits in „Die andere Bildung“ ist mir aufgefallen, dass man Fischers Texte nur goutieren kann, wenn man über die beschriebenen Wissenschaftler und ihre Arbeiten schon etwas weiß und auch bereit ist, sich anderweitig näher zu informieren. Ansonsten ist es für einen Autor wahrscheinlich auch unmöglich, in einem einzigen Buch eine solche Vielfalt von Themen anzureißen.

Mit ist das z.B. mit dem Olbersschen Paradoxon so gegangen. Ich kannte es zwar bereits, habe aber anlässlich der Buchlektüre nochmals darüber nachgelesen. Olbers hatte sich Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts die Frage gestellt, wieso der Nachthimmel eigentlich schwarz und nicht weiß ist. Wenn das Weltall unendlich groß ist, dann muss man in jeder beliebigen Richtung irgendwann auf einen leuchtenden Stern treffen, und diese sind alle weiß leuchtend. Die Antwort ist gar nicht so einfach zu finden und tatsächlich erst Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts befriedigend gegeben worden.

Ungelöst ist bis heute Fermis Paradoxon. Das wird allerdings nur am Ende des Buchs kurz erwähnt, meiner Meinung nach etwas irreführend und auch nur um zu zeigen, dass man noch viele weitere Bücher über Wissenchaftler, ihre Entdeckungen, Experimente und ihr Leben schreiben könnte:

Amüsant ist das Fermi-Paradox, dessen Bezeichnung den italienischen Physiker (und Nobelpreisträger) Enrico Fermi (1901 -1954] ehrt, der schon früh daraufhingewiesen hat, dass es sich nur lohnt, nach außerirdischer Intelligenz zu suchen, wenn sie mehr vermag als wir. Das würde aber bedeuten, dass sie uns entdecken wird, bevor wir sie finden, weshalb wir sie gar nicht erst suchen müssen bzw. uns zu fragen haben, warum sie sich noch nicht gemeldet hat.

Wenn man sich den (von mir oben verlinkten) Wikipediaeintrag dazu durchliest, dann erkennt man, dass das Paradoxon nicht in der Lohnenswertheit der Suche besteht, sondern vielmehr in der Frage, warum wir noch keine Außerirdischen entdeckt haben und in den möglichen widersprüchlichen Antworten auf diese Frage.

Mögliche Antworten auf dieses Paradoxon hängen vielleicht auch von einem anderen Paradoxon ab, Poppers Paradoxon, von dem ich tatsächlich in Fischers Buch zum ersten Mal etwas gelesen habe und von dem man zumindest in dieser Formulierung auch so schnell nichts im Netz findet:

Jeder Wissenschaftler glaubt daran, ein Problem lösen oder einen Fortschritt erzielen zu können, sonst wäre ein anderer Beruf angeraten. Und in dieser eher schönen und beschaulichen Welt taucht als eine unangenehme Beobachtung ein Paradox auf, das mit der Zukunft zusammenhängt. Menschen arbeiten für die Zukunft, und sie bemühen sich, sie kennen zu lernen. Sie tun dies im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten, und sie denken,dabei könnten sie nach und nach immer mehr über diese Zukunft lernen und besser über sie Bescheid wissen. In den 1960er Jahren fühlten sich einige von ihnen bekanntlich sogar bemüßigt, eine Wissenschaft der Futurologie zu etablieren, mit der die Zukunft exakt vorhersehbar werden sollte.

Und dann kam Poppers Paradox. Es besteht zunächst in der unbestreitbaren Einsicht, dass die Zukunft von Gesellschaften, die organisiert Wissenschaft betreiben, von dem Wissen abhängt, das sie erworben haben und anwenden. Je mehr wir wissen, desto mehr hängt die Zukunft von dem ab, was wir wissen.

Das ist alles noch in Ordnung. Das Paradox erwischt uns nun in voller Breite, wenn wir weiter überlegen, dass wir zwar alles Mögliche über die Zukunft wissen können, nur nicht das, was wir in Zukunft wissen werden. Denn dann wüssten wir dies schon heute. Mit anderen Worten: Je mehr unsere Zukunft von unserem Wissen abhängt, desto weniger wissen wir, was auf uns zukommt. Die schwarze Wand der Zukunft rückt nicht weiter von uns weg. Sie kommt immer näher auf uns zu. Wir können nur hoffen, dass uns das nichts ausmacht und dass unser Sachverstand ausreicht, um für diese Situation gerüstet zu sein.

Das Buch ist insgesamt recht locker geschrieben und mit einer Vielzahl von Anekdoten aus dem Leben der vorgestellten Wissenschaftler gespickt. Als Kontrapunkt zu den drei Paradoxa von Olbers, Fermi und Popper passt vielleicht zum Abschluss folgende Begebenheit aus Niels Bohrs Leben:

Die Geschichte von Bohrs Hufeisen ist schnell erzählt. Sie handelt von dem großen dänischen Physiker Niels Bohr (1886 bis 1962), der für seine Familie ein Sommerhaus nördlich von Kopenhagen erworben hatte, über dessen Eingangstür unübersehbar ein Hufeisen prangte. Es erfüllte dort keine konkrete Funktion – etwa für die Festigung des Rahmens -, sondern war vermutlich von irgendeinem Vorbesitzer als Glücksbringer dort angebracht worden.

Nun luden die Bohrs oft Physiker in ihr Sommerhaus ein, und einige Wissenschaftler wunderten sich über das Hufeisen. »Mein lieber Bohr«, so sprachen ihn die mutigen unter den Gästen an, »du willst uns doch nicht etwa weismachen, dass du abergläubisch bist und meinst, dein Glück hinge von einem Hufeisen ab.« – »Nein«, soll Bohr geantwortet haben, »natürlich glaube ich nicht an Hufeisen, aber ich habe gehört, sie tun ihre Wirkung auch, wenn man nicht daran glaubt.«

Gastbeitrag von: Dr. Ralf Poschmann

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