Quantenlogik

Der Terminus Quantenlogik (englisch quantum logic) referiert auf diverse
Versuche, ein logisches
System zu formulieren, das den Prinzipien der Quantenmechanik gerecht wird.

Die Strukturen der Quantenphysik wirken paradox und sind intuitiv teilweise schwer nachzuvollziehen, da sich unsere Intuition in Anpassung an mesoskopisch Lebensumstände entwickelt hat. Fragestellungen wie die, ob Schrödingers Katze lebt, fordern unser Alltagsverständnis heraus. Im Kontext der mathematischen Strukturen der Schrödingergleichung und der Heisenbergschen Unschärferelation wurde deshalb eine Logik gesucht, die Deutungen der Quantenmechanik wie dem Komplementaritätsprinzip oder dem Korrespondenzprinzip nachempfunden ist. Dazu muss die herkömmliche Logik modifiziert oder vielleicht gänzlich neu erfunden werden.

Es gibt im Wesentlichen drei verschiedene Ansätze zur Quantenlogik:

1.    John von Neumann und Garrett Birkhoff entdeckten als erste in den mathematischen Strukturen der Quantenphysik (Hilbertraum, Hamiltonoperator) eine von der bis dahin üblichen Booleschen Algebra abweichende so genannte orthomodulare Logik.

2.    Hans Reichenbach und andere entwickelten aus einer Wahrscheinlichkeitslogik eine dreiwertige Quantenlogik mit den Wahrheitswerten wahr, falsch und unbestimmt.

3.    Peter Mittelstaedt, Ernst-Walther Stachow und Carl Friedrich von Weizsäcker entwickelten die dialogische Logik zu einer zeitlichen Logik der Quantenprozesse um.

Hilary Putnam nahm 1968 die Quantenlogik zum Anlass, die a-priori-Geltung logischer Gesetze insgesamt in Frage zu stellen, was eine Debatte um den Status logischer und algebraischer Gesetzmäßigkeiten auslöste. Zumindest an einem Punkt seiner Karriere sah Putnam in der Quantenlogik die eigentlich adäquate Logik für aussagenlogische Schlussfolgerungen. Diese These war ein zentraler Bestandteil in Putnams 1968 erschienen Aufsatz "Ist Logik empirisch?", in dem er den erkenntnistheoretischen Status aussagenlogischer Regeln analysierte. Putnam vertrat grob gesprochen die Vorstellung, dass aussagenlogische Gesetze durch (quanten-)physikalische Umstände bestimmt sein könnten, insbesondere beschäftigte er sich auch mit der Frage, ob empirische Tatsachen über Quantenphänomene Gründe für die Überarbeitung der klassischen Logik hin zu einer neuen logischen Darstellung der Realität darstellen. Diese Gedanken waren jedoch nicht neu und schon einige Jahre zuvor von George Mackeys mathematischem Werk über die Gruppentheorie und Symmetrie in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht wurden.

Eine verbreitere Sicht auf die Quantenlogik ist jedoch, dass sie uns einen Formalismus für die Beobachtung und Beschreibung von quantenphysikalischen Systemen liefert oder liefern sollte. In dieser Hinsicht ähnelt der quantenlogische Ansatz mehr der C*-Algebra aus der Quantenmechanik. Die Ähnlichkeiten des quantenlogischen Formalismus zu einem herkömmlichen Formalismus mit klassisch-deduktiver Logik könnte dann mehr als ein Kuriosum betrachtet werden und weniger als ein Gegenstand von grundlegender philosophischer Bedeutung. Ein modernerer Ansatz zur Struktur der Quantenlogik nimmt an, dass es sich bei der QL um ein – im Sinne der kategorielle Algebra - Diagramm der klassischen Logik handelt (so z.B. David Edwards).

1. Überblick

1.1. Ausgangsproblem

Zusammen mit der Relativitätstheorie wirkte die etwa 1900 entstandene Quantenphysik wie eine Revolution der Physik. Das Doppelspaltexperiment warf etliche Fragen auf, insbesondere, ob Elektronen oder Lichtquanten Teilchen oder Wellen sind. Im Jahre 1926 erschienen sechs Arbeiten von Erwin Schrödinger, die schließlich zu einer komplexen Differentialgleichung führten, die man
Schrödingergleichung nennt. 1927 wurde die Heisenbergsche Unschärferelation formuliert.[1] Sie besagt, dass zwei komplementäre Eigenschaften eines
Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind. Die Welt der
Elementarteilchen schien ganz anders zu sein, als man es von der bisherigen Physik kannte.

 

Wenn man aus der Quantenmechanik eine Logik entwickeln will, wird das
Distributivgesetz der Verknüpfung von und ({\displaystyle \wedge }) und oder ({\displaystyle \vee }) verletzt.[2] Das geht aus der Unschärferelation hervor:

 

·       Es sei p die Aussage: „Das Elektron ist schnell“ (Die Messung des Impulses ergibt eine Zahl in einem bestimmten Intervall.)

·       q sei die Aussage: „Das Elektron ist in einem linken Intervall“ und

·       r sei die Aussage: „Das Elektron ist in einem rechten Intervall“.

 

q und r seien Aussagen über zwei benachbarte Ortsintervalle, die gemeinsam auch bei Unschärfe den Aufenthaltsort des Elektrons gewährleisten. Dann gilt zwar {\displaystyle p\wedge (q\vee r)}p (q v  r), aber gemäß der Unschärferelation nicht mehr unbedingt {\displaystyle (p\wedge q)\vee (p\wedge r)}(p q) v (p r).[3] Das Distributivgesetz besagt dagegen, dass beide Ausdrücke identisch sind. Dies führt also zum Ablehnen der klassischen (distributiven) Logik, denn Impuls und Ort des Elektrons lassen sich nicht beide gleichzeitig genau bestimmen.

1.2. Fortgang

John von Neuman schlug zunächst vor,[4] Aussagen über beobachtbare physikalische Größen als Projektionen in einem Hilbert-Raum zu interpretieren. Einen geeigneten Kalkül entwickelten er und Birkhoff in ihrer Veröffentlichung aus dem Jahr 1936. Eine Axiomatisierung dieses Systems wurde von George Mackey
unternommen.[5] Die quantenlogischen Forschungen wurden 1963–1968 vornehmlich in der Schweiz durch Josef-Maria Jauch und Constantin Piron

fortgesetzt. Saul Kripkes Übertragung in einen modallogischen Kalkül bildete die Grundlage für die Arbeiten von Bas van Fraassen und später Maria L. Dalla Chiara.

 

Parallel hatte Reichenbach begonnen, dreiwertige Logiken zur Beschreibung der Quantenmechanik einzusetzen. V. Weizsäckers Vorschlag zur Entwicklung eines dialogischen Kalküls wurde seit 1970 vor allem in Köln (Peter Mittelstaedt, Ernst-Walther Stachow) umgesetzt. Weitere Zentren der Forschung waren seit den 1970ern Genua (Enrico Beltrametti) und Amherst (Charles H. Randall, David J. Foulis). 1976 fand ein erstes internationales Treffen von Quantenlogikern in Bad Homburg statt; es folgten Kolloquien in Erice/Sizilien 1979 und in Köln 1984, bei denen die große Bandbreite der philosophischen, logischen, linguistischen,
algebraischen, geometrischen und wahrscheinlichkeitstheoretischen Forschungen zum Thema Quantenlogik sichtbar wurden, die heute in verschiedenen Sektionen der IQSA vertreten sind.

 

Mittelstaedt führte Erweiterungen der Quantenlogik zu einer Relativistischen Quantenlogik durch[6] und erarbeitete eine Quantenontologie. Von Weizsäcker suchte nach einer Quantentheorie der Ur-Alternativen, in der iteriert die Quantenlogik auf Ur-Alternativen angewandt wird.[7]

1.3. Debatte um die Empirizität der Logik

Die Forschungen zur Quantenlogik brachten Fragen zum Status der Logik überhaupt auf. Ihre Abweichungen von der klassischen Logik stellen infrage, ob diese den physikalischen Zusammenhängen entspricht.[8] Damit ist die Geltung der klassischen Logik infrage gestellt. Es lässt sich sogar bezweifeln, ob überhaupt ein einzelnes logisches System den Anspruch erheben kann, ein korrektes und adäquates Gerüst für eine wahrheitserhaltende Beschreibung naturwissenschaftlicher Prozesse und Zustände zu liefern. Von Hilary Putnam[9]

wurde prominent vorgeschlagen, dass nur eine Quantenlogik korrekt sein kann, deren Gültigkeit sich aber nicht analytisch uns erschließt, so dass es eine empirische Frage wird, welche Logik korrekt ist. Eine Erwiderung erfolgt vor allem durch Michael Dummett,[10] der das Problem an die moderne Realismusdebatte
anschloss. Putnams Forderung nach der Infragestellung der Logik setzt ihm zufolge eine Realistische Position voraus, die jedoch ihrerseits sowohl die Distributivität als auch das Bivalenzprinzip der klassischen Logik voraussetzt. Die Frage nach einer Geltung der Logik für die Welt setzt voraus, dass die Aussagen, in der die Welt grundlegend beschrieben werden kann, wahr oder falsch sind.

2. Herangehensweisen im Einzelnen

2.1. Ausssagenlogischer Kalkül nach Birkhoff und von Neumann

In einem Arbeitspapier[11] schlugen John von Neumann und Garrett Birkhoff 1936 vor, die Operatoren der Schrödingergleichung als Aussagen über das Quantensystem zu interpretieren:

·       Den Projektionsoperatoren entsprechen die elementaren Aussagen der Logik.

·       Den Eigenwerten 1 und 0 entsprechen die Wahrheitswerte dieser Logik.[12]

 

Damit war die Quantenlogik geboren. Sie wich allerdings in einigen Punkten von der herkömmlichen Logik ab. Das algebraisch formulierte Logiksystem der Booleschen Algebra musste überarbeitet werden.

 

Den algebraischen Beziehungen entsprechend gibt es Beziehungen zwischen den Aussagen, die einen Kalkül bilden, in dem – entgegen der klassischen
Aussagenlogik – das Distributivgesetz durch die so genannte Orthomodularität ersetzt wird und das Tertium non datur nur noch eingeschränkt gilt.[13]

 

Die Quantenlogik lässt sich in der mathematischen Sprache analog zum
modularen Verband formalisieren. Hier werden zunächst neun Grundregeln[14] wiedergegeben, man nennt das Regelpaket die Orthologik OL.[15] Der Querstrich ist ein Folgerungsstrich, also die Regel besagt jeweils, dass man von den oben stehenden Aussagen zu den unten stehenden übergehen darf:

Nr.

Regel

Bezeichnung

1

A / A

Aus A folgt A: reflexiver Schluss

2

(A ∧ B) / A

-Beseitigung 1

3

(A ∧ B) / B

-Beseitigung 2

4

¬ ¬A / A

Duplex negatio affirmat

5

A / ¬ ¬A

Doppelte-Negations-Einführung

6

( A ¬A ) / B

Ex contradictione sequitur quodlibet

7

(A ⇒ B, B ⇒ C) / (A⇒C)

transitiver Kettenschluss

8

(A ⇒ B, A ⇒ C) / (A ⇒ B ∧ C)

Einführung mit Prämissen A

9

(A ⇒ B) / (¬B ¬A)

Kontraposition

10

(A ∧ (¬A v ( A ∧ B)) / B

Orthomodularität

Die 10. axiomatische Regel, die Orthomodularität, ist hier nach André Fuhrmann
wie die anderen neun Regeln von OL in junktorenlogischer Schreibweise notiert.[14] Sie setzt sich zusammen aus dem Modularitätsgesetz einerseits und Spiegelungen andererseits. Dies sind so genannte Orthokomplemente
, die die Funktion der Negation übernehmen.

Logiker untersuchen Logiken unter anderem daraufhin, ob sie entscheidbar sind; so wurde auch dieses Logiksystem ausgiebig untersucht. Die Regel der Orthomodularität entspricht keiner in der ersten Stufe der Logik formulierbaren Rahmen-Bedingung, weshalb ihre Entscheidbarkeit bislang noch nicht bewiesen ist.[14]

Schreibweise

Sprechweise

◊p

Es ist möglich, dass p

□p

Es ist notwendig, dass p

◊p ¬p

p ist kontingent

1963 konnte Saul Kripke ein Modell für die Vielzahl der bis dahin vorgeschlagenen
modallogischen Systeme entwickeln.[16] Die oben genannte Orthologik OL lässt sich in die intuitionistische Modallogik abbilden und durch eine Klasse von Kripke-Rahmen vollständig charakterisieren.[14] Auf dieser axiomatischen Grundlage verwendeten seit den 1970er Jahren Bas van Fraassen (Toronto) und Maria L. Dalla Chiara (Florenz) Modalitäten im Rahmen der Quantenlogik.[17] Franz Josef Burghardt entwickelte die Modallogik der Quanten weiter.[18]

2.2. Dreiwertige Logik

Da in der Quantenmechanik die klassisch vorausgesetzte Kommensurabilitäts-

bedingung nicht erfüllt zu sein braucht, haben einige Wissenschaftler wie z. B. Paulette Destouches-Février, Hans Reichenbach und Bas van Fraassen[19]
versucht, eine dreiwertige Logik als Quantenlogik einzuführen. Damit wird das Prinzip der Zweiwertigkeit allerdings verlassen.

 

Van Fraassen entwickelte eine Ausschlussnegation. Wenn eine physikalische Größe m nicht einen bestimmten Wert – beispielsweise 7 – annimmt, so kann dies im Sinne der Ausschlussnegation nicht nur bedeuten, dass m nicht 7 ist, sondern auch, dass sich das System in keinem Zustand befindet, zu dem ein Wert von m gehört.[20]

 

Hans Reichenbach behauptet, dass man sich bei der Beurteilung wissenschaftlicher Aussagen nur auf Wahrscheinlichkeitserwägungen stützen kann. Gewissheit dürfe von der Wissenschaft nicht erwartet werden.[21] In den 1930er und nachfolgenden Jahren arbeitete er an Problemen der
Wahrscheinlichkeitslogik. Zur logischen Beschreibung der Quantenmechanik erstellte Reichenbach aus dieser Wahrscheinlichkeitslogik eine dreiwertige Quantenlogik mit den Wahrheitswerten wahr, falsch und unbestimmt. Sie benutzt drei Arten der Negation (ausschließende, diametrale und vollständige Negation) und drei Arten der 
Implikation (Standardimplikation, Alternativimplikation, Quasiimplikation).[22] Nachdem Ulrich Blau eine dreiwertige Logik der natürlichen Sprache zur Diskussion gestellt hat, wurde eine Parallele zur Dreiwertigkeit bei Reichenbach gezogen, weil bereits alltägliche Beispiele für den Fall unerfüllter Präsuppositionen eine solche Bewertung nahelegen.[23]

 

Für die Junktoren und ({\displaystyle \wedge }) und oder ({\displaystyle \vee }v) gelten folgende Wahrheitstafeln mit falsch (f), unbestimmt (u) und wahr (w):[24] 

a und b
b
a
f u w
f f f f
u f u u
w f u w
 
a oder b
b
a
f u w
f f u w
u u u w
w w w w

Die Subjunktion (auch Implikation genannt: wenn-dann) wird nicht einheitlich gestaltet. Hier sind die Versionen von Jan Łukasiewicz, Ulrich Blau[25] sowie die Alternativ- und die Quasiimplikation von Reichenbach dargestellt:

Łukasiewicz
b
a
f u w
f w w w
u u w w
w f u w
 
Blau
b
a
f u w
f w w w
u w w w
w f u w
 
Alternativimplikation
b
a
f u w
f w w w
u w w w
w f f w
 
Quasiimplikation
b
a
f w
f u u
w f w

Verteidiger der dreiwertigen Logik meinen, die Logik müsse sich der Unbestimmtheitder Messaussagen der Quantenphysik anpassen und nicht umgedreht.[26]

Die Statue Quantum Man (2006) von Julian Voss-Andreae zeigt die in der Quantenlogik versuchte verschiedene Ansicht von ein und demselben Realen.
Die Statue Quantum Man (2006) von Julian Voss-Andreae zeigt die in der Quantenlogik versuchte verschiedene Ansicht von ein und demselben Realen.

Siehe auch: Dreiwertige Logik.

2.3. Dialogische Logik zeitlicher Aussagen

1955 regte Carl Friedrich von Weizsäcker in Göttingen an, den von Birkhoff und v. Neumann aufgestellten Aussagenkalkül aus grundsätzlichen
erkenntnistheoretischen Überlegungen zur Quantenmechanik abzuleiten.[27]Peter Mittelstaedt führte dies in den Jahren 1958–1963 so weit aus, wie es mit den seinerzeit zur Verfügung stehenden mathematischen Mitteln möglich war.[28] Die Ausarbeitung einer Logik zeitlicher Aussagen Weizsäckers klang auch im Spätwerk Rudolf Carnaps an.[29] Mittelstaedt entlehnte 1959 den Arbeiten Paul Lorenzens Dialoge zur semantischen Begründung zusammengesetzter Aussagen über physikalische Größen (Observable).[30] Aus dieser dialogischen Logik wurde eine zeitliche Quantenlogik erforscht.[31]

 

In der dialogischen Logik von Lorenzen und Kuno Lorenz wird die Wahrheit eines Satzes durch einen Dialog von Proponent (P) und Opponent (O) bestimmt, in dem die Dialogpartner sich jeweils auf voriges Behaupten und Zeigen beziehen. Der Proponent hat gewonnen, wenn er eine angegriffene nicht mehr logisch verknüpfte Aussage (Elementaraussage) verteidigt hat oder wenn der Opponent (auf der linken Spalte mit O notiert) eine angegriffene Elementaraussage

 

nicht verteidigt. Der Junktor Subjunktion ({\displaystyle \rightarrow } wenn-dann) ist im hier gebrauchten Zusammenhang das, was bei Reichenbach in der dreiwertigen Logik Implikation heißt. Es gibt zwei Dialoge, einen um den Wennsatz und anschließend einen um den Dannsatz. Hier werden mit dem Fragezeichen jeweils die vorhergehenden Zeilen angegriffen.

O

P

Kommentar

 

A ⇒ A

Zusammengesetzte Gesamtaussage: Wenn A dann A.

A?

 

Der Wennsatz wird behauptet und dadurch die Gesamtaussage angegriffen.

 

?

Ein Beweis bzw. ein Vorzeigen wird verlangt.

[A]

 

Das behauptete A wird vorgezeigt oder bewiesen.

 

A

Als Verteidigung muss gemäß der -Regel der Dannsatz behauptet werden.

?

 

Ein Beweis bzw. ein Vorzeigen wird verlangt.

 

[A]

Das behauptete A wird vorgezeigt oder bewiesen. P hat gewonnen, die Gesamtaussage ist wahr.

An dieser Stelle setzen Mittelstaedt und Weizsäcker an. Man kann die Grundregeln der dialogischen Logik so gestalten, dass der Beweis für eine zu Beginn gemachte Aussage nach einer gewissen Zeit nicht mehr zur Verfügung steht.[32]

Von Weizsäcker stellt folgende Überlegung an: Es sei beispielsweise m die konkrete Aussage: „Der Mond ist zu sehen“ (für A eingesetzt). Der Proponent behauptet wie im Schaubild AA.

„Der Opponent setzt m für A ein. Zum Beweis aufgefordert, sagt er: ‚Hier sieh den Mond, gerade über dem Horizont!‘ Der Proponent erkennt den Beweis an. Nunmehr selbst zum Beweis aufgefordert, sagt er: ‚Hier sieh den Mond, gerade über dem Horizont!‘ Der Opponent muss den Beweis und damit seine Niederlage anerkennen. – Aber der Proponent muss in diesem Beispiel darauf achten, dass er schnell genug reagiert. Sonst könnte der Opponent, der ihm gerade noch den Mond gezeigt hatte, die Anerkennung des zweiten Beweises verweigern: der Mond ist inzwischen untergegangen.“
– Carl Friedrich von WeizsäckerDie Einheit der Natur. S. 245.

In der üblichen formalen nichttemporalen Logik ist diese Gesamtaussage{\displaystyle A\rightarrow A} AA
sofort formallogisch wahr, weil der Proponent das Setzen von A des Opponenten einfach übernehmen darf. In der temporalen Logik ist die materiale Wahrheit beweis- bzw. vorzeigeabhängig.

 

Peter Mittelstaedt hat gezeigt, dass in der Quantenlogik aus diesen Gründen das Gesetz {\displaystyle A\rightarrow (B\rightarrow A)} A(B A) nicht gilt.[33] Es gibt vier weitere Gesetze, die durch die Quantenlogik verletzt werden.[34] Mittelstaedt begründet die Verletzung dieser Gesetze durch die Anwendung der Unschärferelation: Man setze für A die Aussage „Dieses Elektron hat den Impuls p“ und für B „Dieses Elektron hat den Ort q“ ein. Der Opponent misst nun den Impuls des Elektrons und findet p, dann misst er den Ort und findet q. Jetzt wiederholt der Proponent die Impulsmessung, aber leider findet er den Wert p nicht wieder.[35] Das Gesetz {\displaystyle A\rightarrow (B\rightarrow A)} A(B A) gilt also nicht, der Proponent kann das zweite A (Impuls p) nicht mehr durch Messung beweisen.

 

Diese von Mittelstaedt charakterisierte pointierte Subjunktion wird auch Sasaki-hook genannt.[36] 1952 entwickelte der japanische Wissenschaftler Sasaki Usa eine Quantenprojektion,[37] die von Richard Joseph Greechie zu einer Nichtstandard-Quantenlogik ausgearbeitet wurde.[38]

3. Gegenwärtige Beurteilung

Wolfgang Stegmüller hat die Quantenlogik kritisch untersucht.[39] Er hält die Kritik von Ernest Nagel für berechtigt, wonach Reichenbachs Vorschlag einer dreiwertigen Logik auf einer zu engen Anwendung des Empirismusprinzips beruhe.[40] Erhard Scheibe[41] behauptet, dass ein Aufbau der Quantentheorie unter Beibehaltung der klassischen Logik möglich ist, wenn man für das kontingente Verhalten eines Systems eine epistemische Formulierung wählt, die sich unmittelbar auf unsere experimentelle Feststellungen bezieht und nicht auf Behauptungen über das Vorliegen von Eigenschaften.[42] Andreas Kamlah fragt kritisch, ob die dialogische Quantenlogik eine analytische Theorie sei.[43]

 

Nach 2000 wurden zunehmend die Verdienste der Quantenlogik als wertvoller Beitrag zur Sprachforschung anerkannt, so unter anderen von Brigitte Falkenburg.[44]

 

Nach einem modernen, eher formalistischen Logikverständnis kann man davon ausgehen, dass die drei unterschiedlichen Ansätze nicht mehr miteinander konkurrieren: In der dialogischen Logik und bei anderen Logiksystemen vom Gentzentyp werden verschiedene Rahmenregelpakete angeboten, die jeweils zu einer bestimmten Logik führen, so auch zur Quantenlogik. Dasselbe gilt für die Axiomensysteme vom Hilberttyp. Durch diese Möglichkeiten kann innerhalb eines logischen Regelwerks überlegt werden, für welches Regelpaket man sich entscheiden will. Somit braucht man nicht ganz grundsätzlich die gesamten Regelwerke gegeneinander auszuspielen.

 

Analog beurteilen Maria Luisa Dalla Chiara und Roberto Giuntini die Situation so: Quantenlogiken bzw. deren formale Eigenschaften können keinen Hinweis auf reale Eigenschaften oder Mechanismen zwischen den Observablen der Quantentheorie geben. Ein diesbezüglicher Realismus, den Pioniere wie v. Neumann, Reichenbach und v. Weizsäcker vertreten haben müssen, ist daher ebenso abzulehnen wie Putnams Vorschlag, dass die Geltung einer bestimmten Logik eine Frage der Empirie sei. Vielmehr halten sie fest, dass es nicht nur verschiedene Logiken, sondern auch verschiedene Quantenlogiken gibt und es daher fraglich sei, dass es eine Quantenlogik geben kann [45]

Literatur

·       Garrett Birkhoff, John von Neumann: The logic of quantum mechanics. In: Ann. of Math. 37, 1936 (PDF; 761 kB).

·       Ulrich Blau: Die Logik der Unbestimmtheiten und Paradoxien. Heidelberg 2008, S. 191–290.

·       Enrico Beltrametti, Bas van Fraassen (Hrsg.): Current Issues in Quantum Logic (= Ettore Majorana International Science Series. Vol. 8). New York/London 1981, ISBN 0-306-40652-7.

·       André Fuhrmann: Quantenlogik. In: Jürgen MittelstraßEnzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 6, Metzler 2016, ISBN 978-3-476-02105-2, S. 532–533.

·       Peter Mittelstaedt, Ernst-Walther Stachow (Hrsg.): Recent Developments in Quantum Logic (= Grundlagen der exakten Naturwissenschaften Bd. 6). Mannheim/Wien/Zürich 1985, ISBN 3-411-01695-7.

·       Peter Mittelstaedt: Quantum Logic (= Synthese Library. Vol. 126). Doordrecht 1978, ISBN 90-277-0925-4.

·       Peter Mittelstaedt: Are the Laws of Quantum Logic Laws of Nature?. In: Journal for General Philosophy of Science / Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 43 (2), 2012, S. 215-222.

·       Ewald RichterQuantenlogik. In: Joachim Ritter et al. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 7, Basel 1989, ISBN 978-3-7965-0698-7, S. 1782–1785.

·       Carl Friedrich von Weizsäcker: Komplementarität und Logik. In: Die Naturwissenschaften 42, 1955, S. 521–529 u. 545–555.

·       Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Einheit der Natur. Studien, Hanser, München 1971.

Weblinks

·       D. J. Foulis: A Half Century of Quantum Logic — What Have we Learned? University of Massachusetts, Amhest 1995.

·       Maria Luisa Dalla Chiara, Roberto Giuntini: Quantum Logics. Florenz 2008.

·       Mladen Pavičić: Bibliography on Quantum Logics and related structures. Zagreb 1992.

·       Alex Wilce: Quantum Logic and Probability Theory. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford 2002/2012/2017.

Einzelnachweise

1.    Friedrich Hund: Geschichte der Quantentheorie. 3. Auflage 1984.

2.    Klaus MainzerQuantentheorie. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 6, Metzler 2016, S. 538.

3.    Peter Forrest: Quantum logic. In: Edward Craig (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy. Vol. 7, 1998, S. 882ff.

4.    John von Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. 1932.

5.    George Mackey: Mathematical Foundations of Quantum Mechanics. 1963.

6.    Peter Mittelstaedt: Relativistic Quantum Logic. In: Int. Journal of Theor. Physics 22, 1983, S. 293–314.

7.   Carl Friedrich von Weizsäcker: Aufbau der Physik. Carl Hanser Verlag, 1985, Achtes Kapitel Rekonstruktion der abstrakten Quantentheorie.

8.    Peter Schroeder-Heister: Logik, mehrwertige. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 5, Metzler 2013, S. 62.

9.    Hilary Putnam: Is Logic empirical? In: Boston Studies in the Philosophy of Science. Band 5. D. Reidel, Dodrecht 1968, S. 216–241.

10. Michael Dummet: Is Logic Empirical? In: Contemporary British Philosophy. Band 4, 1976.

11. John von Neumann, Garrett Birkhoff: The logic of quantum mechanics. In: Annals of Mathematics 37, 1936, S. 823–843.

12. Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Einheit der Natur. Studien, Hanser, München 1971, 2. Auflage 1981, S. 242.

13. Peter Mittelstaedt: Quantum Logic. S. 6–26. Zum Tertium non datur in der Quantenlogik ausführlich Peter Mittelstaedt und Ernst-Walther Stachow: The principle of excluded middle. In: Journal of Philosophical Logic 7, 1978, S. 181–208.

14. André Fuhrmann: Quantenlogik. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 6, Metzler 2016, ISBN 978-3-476-02105-2, S. 532.

15. Maria Luisa Dalla Chiara, Roberto Giuntini: Quantum Logics. Florenz 2008, S. 36.

16. Saul A. Kripke: Semantical Analysis of Logic I. Normal propositional Calculi. In: Zeitschrift für mathematische Logik und Grundlagen der Mathematik. 9, 1963, S. 67–96.

17. Bas van Fraassen: Meaning Relations and Modalities. In: Nous. 3, 1969, S. 155–167. M. L. Dalla Chiara: Quantum Logic and Physical Modalities. In: Journal of Philosophical Logic. 6, 1977, S. 391–404.

18. Franz Josef Burghardt: Modalities and Quantum Mechanics. In: Int. Journal of Theor. Physics 23, 1984, S. 1171–1196, mit weiterer Literatur.

19. Bas van Fraassen: The Labyrinth of Quantum Logics. In: Cohen, Wartofsky: The Logico-Algebraic Approach to Quantum Mechanics (= The University of Western Ontario Series in Philosophy of Science. Vol. 5a). S. 577–607.

20. Bas van Fraassen: The Labyrinth of Quantum Logics. S. 577–607.

21. Martin CarrierReichenbach, Hans. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Erste Auflage. Band 3, Metzler 1995/2004, S. 542.

22. Hans Reichenbach: Gesammelte Werke. Band 5: Philosophische Grundlagen der Quantenmechanik und Wahrscheinlichkeit. S. 182f.

23. Ewald Richter: Quantenlogik. 1989, S. 1784.

24. Werner Stelzner: Logik, mehrwertige. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Meiner, Hamburg 2010, Bd. 2, S. 1462ff.

25. Peter Schroeder-HeisterLogik, mehrwertige. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 5, Metzler 2013, S. 62.

26. Peter Schroeder-Heister: Logik, mehrwertige. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 5, Metzler 2013, S. 63.

27. Carl Friedrich von Weizsäcker: Komplementarität und Logik. In: Die Naturwissenschaften 42, 1955, S. 521–529 u. 545–555.

28. Peter Mittelstaedt: Quantenlogik. In: Fortschritte der Physik 9, 1961, S. 106–147.

29. Am Ende seines letzten Buches Philosophical Foundations of Physics (New York 1966, dt. Ausgabe Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft. München 1969, 2. Aufl. 1974, S. 286) äußert sich Carnap zu den Arbeiten von Birkhoff und von Neumann: „Hier berühren wir tiefliegende, noch ungelöste Probleme. […] Es ist schwer vorherzusagen, wie die Sprache der Physik sich ändern wird. Aber ich bin überzeugt, dass zwei Tendenzen, die im Verlaufe des letzten halben Jahrhunderts zu großen Verbesserungen in der Sprache der Mathematik geführt haben, in gleicher Weise die Sprache der Physik schärfen und klären werden; die Anwendung der modernen Logik und Mengenlehre und die Verwendung der axiomatischen Methode in ihrer modernen Form, die eine formalisierte Sprache voraussetzt. In der Physik von heute, in der […] die ganze Begrifflichkeit der Physik diskutiert wird, könnten beide Methoden sich als äußerst nützlich erweisen.“

30. Peter Mittelstaedt: Quantenlogik. In: Fortschritte der Physik 9, 1961, S. 106–147, hier S. 124–128; auch in der ersten Auflage von Peter Mittelstaedt: Philosophische Probleme der modernen Physik. Mannheim 1963, S. 127–133. Jetzt ausführlich in ders.: Quantum Logic. S. 48–98.

31. Peter Mittelstaedt: Time dependent propositions and quantum logic. In: Journal of Phil. Logic 6, 1977, S. 463–472. Carl Friedrich von Weizsäcker: In welchem Sinne ist die Quantenlogik eine zeitliche Logik? In: Jürgen Nitsch, Joachim Pfarr, Ernst-Walther Stachow: Grundlagenprobleme der modernen Physik. Festschrift für Peter Mittelstaedt zum 50. Geburtstag. Mannheim 1981, ISBN 3-411-01600-0, S. 311–317.

32. Zur Verfügbarkeit einer Aussage siehe: Kuno LorenzLogik, dialogische. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Zweite Auflage. Band 5, Metzler 2013, S. 24.

33. Peter Mittelstaedt: Philosophische Probleme der modernen Physik. Mannheim 1986.

34. Maria Luisa Dalla Chiara, Roberto Giuntini: Quantum Logics. Florenz 2008, S. 25.

35. Weizsäcker: Die Einheit der Natur. München 1981, S. 246.

36. Maria Luisa Dalla Chiara, Roberto Giuntini: Quantum Logics. Florenz 2008, S. 25.

37. Sasaki Usa: Lattice theoretic characterisation of affine geometry of arbitrary dimensions. In: Journal of Science. Hiroshima Univ. Series A, 16, Hiroshima 1952, S. 223–238.

38. Richard Joseph Greechie: A non-standard quantum logic with a strong set of states. In: E. G. Beltrametti, Bas van Fraassen (Hrsg.): Current Issues in Quantum Logic (= Ettore Majorana International Science Series. Vol. 8). Plenum, New York 1981, S. 375–380.

39. Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Stuttgart 1975, ISBN 3-520-30905-X, S. 208–220.

40. Wolfgang Stegmüller: Wissenschaftliche Erklärung und Begründung. Berlin/Heidelberg/New York 1969, S. 506.

41. Erhard Scheibe: Die kontingenten Aussagen der Physik. 1964.

42. Ewald Richter: Quantenlogik. 1989.

43. Andreas Kamlah: Ist die Mittelstaedt-Stachowsche Quantendialogik eine analytische Theorie? In: Peter Mittelstaedt, Joachim Pfarr: Grundlagen der Quantentheorie. (= Grundlagen der exakten Naturwissenschaften. Band 1). Mannheim 1980, S. 73–92.

44. Brigitte Falkenburg: Language and Reality. Peter Mittelstaedts contribution to the Philosophy of Physics. In: Foundations of Physics 40, 2010, S. 1171–1188.

45. Maria Luisa Dalla Chiara, Roberto Giuntini: Quantum Logics. Florenz 2008, S. 96–97.

Bildquellen: 1, 2

Kommentare: 1
  • #1

    ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 14:03)

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